Die Klimakrise lösen wir nicht übermorgen, sondern heute – Ulrich Streibl von der oekostrom AG im Interview.

Ein Interview mit Vorstandssprecher Ulrich Streibl über die aktuelle Kapitalerhöhung, das Engagement der oekostrom AG abseits der Erneuerbaren und die Chancen für eine Energiewende.

Vorstandssprecher Ulrich Streibl über die aktuelle Kapitalerhöhung der oekostrom AG.
Vorstandssprecher Ulrich Streibl, oekostrom AG
Foto: thomaskirschner.com

Die oekostrom AG blickt auf zwei erfolgreiche Kapitalerhöhungen zurück: 2017 war innerhalb von 48 Stunden ausverkauft und 2021 wurden ebenfalls in kürzester 4,1 Millionen Euro eingesammelt. Denken Sie, dass das Vertrauen der Aktionär:innen in die oekostrom AG etwas mit der voranschreitenden Klimakrise zu tun hat?

Ulrich Streibl: "Aus unserer Sicht hat das Vertrauen vor allem mit dem integrierten Geschäftsmodell der oekostrom AG – wir erzeugen, handeln und vertreiben 100 % sauberen Strom – und mit dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens zu tun. So war 2021 das erfolgreichste Jahr in der Unternehmensgeschichte: Wir haben u.a. die Finanzierung für das größte Windparkprojekt in der Geschichte der oekostrom AG gesichert und ein Stromvertriebsunternehmen gekauft und damit 14.000 ökologisch orientierte Kund:innen ins Unternehmen geholt. Darüber hinaus setzen wir uns seit mehr als 22 Jahren engagiert und glaubwürdig für die Energiewende, den Klimaschutz und den Kampf gegen Atomenergie, Öl und Kohle ein. Wir waren immer Pionier am Weg in eine erneuerbare Energiezukunft, anerkannter Mitstreiter der NGOs und Zivilgesellschaft. Dafür erhalten wir viel Wertschätzung und sicher auch Vertrauen. Das Fortschreiten der Klimakrise, der Krieg in der Ukraine und die sich dadurch verschärfende Energiekrise sprechen zusätzlich für ein Investment in die oekostrom AG, die als Pionierin eine wichtige Rolle im Bereich der Erneuerbaren in Österreich spielt."

Warum ist gerade jetzt der richtige Zeitpunkt für eine erneute Kapitalerhöhung? Gibt es aktuelle Projekte, die mit der Kapitalerhöhung finanziert werden?
Streibl: "Anders als noch in unseren Gründungsjahren agieren wir heute in einem der größten Zukunfts- und Wachstumsmärkte überhaupt. Dieses Momentum wollen wir nutzen, denn tatsächlich steht die Gewinnung von Energie aus erneuerbaren Quellen noch immer am Anfang. Saubere Energie wird immer stärker nachgefragt. Bis zum Jahr 2030 sollen 100 % der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen kommen. Das im Jahr 2021 beschlossene Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) ermöglicht das Schließen dieser Lücke. Dafür ist ein massiver Ausbau der Windenergie (+400 MW pro Jahr; Verdopplung des aktuellen Ausbauvolumens) und der Solarenergie (+1000 MW pro Jahr = Versechsfachung des aktuellen Ausbauvolumens) notwendig. Eine maßgebliche Erhöhung unserer Wind- und PV-Produktion ist in Planung. Aktuell haben wir mehr als 250 MW in unserer Entwicklungspipeline. Ziel ist, unseren Kraftwerkspark in den kommenden Jahren auf 100 MW auszubauen. Darüber hinaus wollen wir in den kommenden Jahren 150.000 Kund:innen mit Strom aus erneuerbarer Energie versorgen. Aber es braucht mehr! Es braucht für Konsument:innen Möglichkeiten, sich darüber hinaus an der Energiewende zu beteiligen. Daher wollen wir für sie entsprechende Handlungsoptionen schaffen: sei es als ‚Prosumer:in‘ – also produzierende:r Konsument:in – durch ressourcenschonende Nutzung von Energie oder als engagierte Menschen, die sich mit uns gemeinsam für starke Rahmenbedingungen zur Bewältigung der Klimakrise einsetzen."

Vorstandssprecher Ulrich Streibl über die aktuelle Kapitalerhöhung der oekostrom AG.
Foto: thomaskirschner.com

Gibt es neben der Kapitalerhöhung weitere Möglichkeiten, sich an der oekostrom AG zu beteiligen?
Streibl: "Menschen können Aktionär:innen der oekostrom werden, aber auch Kund:innen und Prosumer:innen, d.h. sie können den selbsterzeugten Strom aus ihrer PV-Anlage in unsere Bilanzgruppe einspeisen. Wir bieten aber auch immer wieder die Möglichkeit, sich an Petitionen, Unterstützungsaktionen für unsere Anliegen oder Partner-NGOs zu beteiligen. Dazu zählen zum Beispiel unsere Petitionen gegen die AKWs Hinkley Point C und Paks II oder die Klimaklage von Fridays for Future."

Was sind Ihre persönlichen Ziele innerhalb der oekostrom AG? Was möchten Sie im Unternehmen verändern?
Streibl: "Meine Kollegin Hildegard Aichberger und ich haben die wesentlichen Impulse schon gesetzt: Wir bleiben Treiber der Energiewende, sind ein fairer und verlässlicher Anbieter für unsere Kund:innen und ein geschätzter Partner in Wind- und Photovoltaik-Projekten. Wir machen beim weit verbreiteten Greenwashing nicht mit, wir setzen unsere Kund:innen nicht wie andere Energieanbieter bei etwas Gegenwind durch volatile Großhandelsmärkte vor die Türe und wir engagieren uns gesellschaftspolitisch. Bei uns arbeiten nur Menschen, die überdurchschnittliches Engagement zeigen. Und nur Menschen, die sich gegenseitig wertschätzen. Die wohl größte Veränderung ist, dass wir das Wachstum massiv vorantreiben. Das sehen Sie schon an der Dimension der Kapitalerhöhung: Sie ist drei Mal so groß wie die in 2021 und sogar 12-mal so groß wie die vorletzte in 2017. Damit können wir in einer anderen Liga mitspielen und die Verdopplung der Produktion und des Kundenstamms in wenigen Jahren schaffen."

Wie wichtig finden Sie die Rolle der Politik in der Klimakrise im Vergleich zur Privatwirtschaft?
Streibl: "Die originäre Aufgabe der Politik ist es, Ziele für die Energiewende vorzugeben und die Rahmenbedingungen für die Umsetzung zu schaffen. Das heißt vor allem, die notwendigen Flächenwidmungen vorzunehmen, die Genehmigungsprozesse deutlich zu straffen und den richtigerweise staatlich regulierten Netzausbau massiv voranzutreiben. Und den Rest soll sie Unternehmern wie uns überlassen. Der Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion sowie der Vertrieb von erneuerbarer Energie sind volkswirtschaftlich gesehen am besten in den Händen von privaten Unternehmern aufgehoben. Diese klare Rollenverteilung hat Österreich und Europa technologischen Fortschritt gebracht und uns wohlhabend gemacht. Und uns eine einzigartige wirtschaftliche und gesellschaftliche Vielfalt ermöglicht, für die wir weltweit bewundert werden. Viele Länder haben sich in der Energiewirtschaft von staatlichen Monolithen gelöst und agile, private Strukturen ermöglicht. Auch in Österreich ist privates Unternehmertum der Schlüssel zur Energiewende."

Sehen Sie die aktuelle Energiekrise rund um den Krieg in der Ukraine als Chance für die Energiewende?
Streibl: "Die Auswirkungen der Klimakrise rücken spürbar näher an uns heran. Auch der Ukraine-Krieg hat uns auf dramatische Weise gezeigt, welche Folgen die Abhängigkeit von fossilen Energien und bösartigen Autokraten haben kann. Wir finden genau jetzt ein gesellschaftliches, wirtschaftliches wie auch politisches Umfeld vor, das eine Ökologisierung der Energieversorgung erfordert und fördert. Es geht – hier und jetzt – um nicht weniger als um den Beitrag, den jede Organisation, aber auch jede:r Einzelne zur Energiewende leisten kann. Der Ukrainekrieg und die aktuelle Energiekrise sind ganz klar eine Chance für uns alle, jetzt rasch und beherzt umzulenken. Wir müssen uns komplett von Kohle, Öl und Gas lösen. Und auch von der gefährlichen Atomkraft. Und es ist vielfach erwiesen, dass wir unsere Energie komplett erneuerbar bereitstellen können. Wir müssen es einfach tun."

Was braucht es, um die Energiewende umzusetzen?
Streibl: "Stabile politische Rahmenbedingungen auf allen Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden; keine Verhinderungs- und Klientelpolitik, sondern ein Denken in Lösungen und Chancen und den Mut, das System tatsächlich völlig neu und anders zu denken. Mit ein bisschen Photovoltaik auf unseren Dächern und ein paar Windrädern da und dort werden wir das Ruder nicht herumreißen. Wir brauchen mutige Entscheider:innen in Wirtschaft und Politik, aber auch eine große Zahl an Menschen, die bereit sind, die Veränderungen, die wir ohnehin umsetzen müssen – daran führt ja kein Weg mehr vorbei – rasch und engagiert anzugehen."

Die oekostrom AG engagiert sich auch abseits Ihres Geschäftsfelds im Bereich Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Welche Projekte gibt es hier konkret?
Streibl: "Wir stehen seit unserer Gründung in engem Austausch mit UmweltNGOs und Organisationen der Zivilgesellschaft. Aktuell unterstützen wir die Anliegen der Fridays for Future, u.a. deren Klimaklage, oder die internationale Kampagne „The Planet vs. Bolsonaro“ der österreichischen Non-Profit-Organisation AllRise mit unserem Netzwerk und auf unseren Social Media-Kanälen. Allrise hat Klage gegen den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht und zwar wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Wir treten auch nach wie vor aktiv gegen Atomkraft auf. Nach unserem Engagement gegen die AKW-Projekte Hinkley Point C und Paks setzen wir uns v.a. im oekostrom AG-Blog in der Rubrik „Zukunft ohne Atomkraft“ – gemeinsam mit Autor:innen von kernfragen. at, dem Waldviertler Energiestammtisch und der NGO Friends of the Earth – mit dem Thema Atomenergie auseinander. Es braucht laufendes Engagement der Zivilgesellschaft, um die Renaissance der Atomkraft an Österreichs Grenzen zu stoppen. Deshalb werden wir uns weiterhin für eine atomkraftfreie Zukunft stark machen und fordern, dass sich Österreich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen den Ausbau der Atomkraft in Europa wehrt.

Vorstandssprecher Ulrich Streibl über die aktuelle Kapitalerhöhung der oekostrom AG.
Foto: thomaskirschner.com

Die Zukunft braucht eine starke Stimme. Diese starke Stimme kam in den vergangenen Jahren vermehrt aus der Jugend, und zurecht verlangt sie, dass die Akteur:innen aus Wirtschaft und Gesellschaft sich verstärkt einsetzen, um Veränderungen für ein nachhaltiges Leben auf einem gesunden Planeten zu bewirken. Genau aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, als Gründungsmitglied bei der Unternehmensplattform CEOs FOR FUTURE, die sich der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens widmet und in engem Austausch mit der Klimabewegung Fridays for Future und verschiedenen Jugendverbänden steht, aktiv zu werden. Zusammen mit weiteren Persönlichkeiten in bedeutenden Führungsfunktionen möchte ich die wirtschaftliche Zukunft im Einklang mit den vorhandenen Ressourcen unseres Planeten aktiv gestalten und mich für ein positives Miteinander engagieren.

Als eines von mehr als 200 Unternehmen unterstützt die oekostrom AG, vertreten von meiner Kollegin Hildegard Aichberger, seit Beginn den Appell der Wirtschaft. Wir sind auch eines der ersten Mitglieder der Community von Glacier, einem mittlerweile sehr starken Netzwerk, das Unternehmen umsetzungsorientiert an die Themen Umwelt- und Klimaschutz sowie Nachhaltigkeit heranführt.

In unserem Blog und dem Podcast-Format „Freitag in der Arena“ setzen wir uns mit Möglichkeiten für ein Engagement gegen Klimakrise und für eine lebenswerte Zukunft ein. Bei unserem politphilosophischen Talk „oekostrom AG am Campus“ laden wir gemeinsam mit Philosoph Philipp Blom spannende Gäste zu aktuellen Themen ein und setzen ganz bewusst auf die Einbindung der Gen Z."

Wo sehen Sie die Zukunft der oekostrom AG und was möchten Sie mit ihr erreichen?
Streibl: "Wenn ich die oekostrom AG einmal in die Hände der nächsten Vorstandsgeneration übergebe, so soll sie das engagierteste, erfolgreichste, fairste und sympathischste Unternehmen in der österreichischen Energiewirtschaft sein. Wir werden bis dahin viele unternehmerische, aber auch gesellschaftliche Impulse für die Umgestaltung der Energiewirtschaft hin zu einer vollständig erneuerbaren Energieversorgung gesetzt haben. Wir werden viele erneuerbare Kraftwerke gebaut haben und viele Kund:innen mit echtem Grünstrom aus Österreich versorgen. Wir werden Innovationen vorangetrieben haben und neue Geschäftsfelder bespielen. Und all das immer mit dem Gedanken, dass Unternehmen den Menschen dienen müssen: Ihren Eigentümer:innen, ihren Kund:innen und ihren Mitarbeiter:innen. Und dass sie den gesellschaftlichen Auftrag haben, unsere vielfältigen Lebenswelten immer wieder ein Stück besser zu machen."

Können Sie die Eckpunkte der Emission kurz aufführen?
Streibl: "Im Rahmen unserer aktuellen Kapitalerhöhung geben wir 412.338 neue Aktien aus. In der Bezugsfrist zwischen Anfang Mai und Anfang Juni haben Bezugsberechtigte bereits rund 73 % der Aktien gezeichnet und rund EUR 9 Mio. Wachstumskapital bereitgestellt. Seit 7. Juni ermöglichen wir allen interessierten Investor:innen eine breite Beteiligung an der Energiewende. Mit dem eingeworbenen Kapital wollen wir unseren Kraftwerkspark für erneuerbare Energie in Österreich und den Nachbarländern weiter ausbauen und Wachstumschancen im Vertriebsbereich nutzen.

Der Ausgabepreis für die Aktien beträgt EUR 32 / Stück, die Zeichnungsfrist läuft, vorbehaltlich einer entsprechenden Verfügbarkeit von Aktien, bis 16. September 2022."

 


Dina Mansour

Beitrag von

Dina Mansour

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